Der Kuchen schmeckt - DIE FASSADE BRÖCKELT

Nadine Neumann kurvte durch Elze, auf der Suche nach dem Bouleplatz. Die Stimme vom Tablet befahl ihr, in eine kleine Straße einzubiegen. Mal sehen, wie die Holländerin sich herausreden würde, wenn man sie damit konfrontierte, was die Mädchen beobachtet hatten.

Auf dem Gutshof hatte die Hauptkommissarin erfahren, dass Martje van de Molen mit Eric und Elise von Oegenbostel zum Boulen gefahren war - um das Mädchen von trüben Gedanken abzulenken, hatte die Köchin der Oegenbostels vermutet.

Eugen-Eric, Martje und Elise hatten es sich in einem hölzernen Pavillon gemütlich gemacht. Sie aßen Kirschkuchen, der richtig lecker aussah.

„Frau Neumann, kommen Sie zu uns! Können wir Ihnen irgendwie helfen?“ Eugen-Eric von Oegenbostel deutete einladend auf die Sitzbank.
Martje fragte, ob es denn auch ein Stück Kuchen vom Elzer Dorfbäcker Springhetti sein dürfe, der sei „echt lecker“.

Nadine lehnte ab. Besser sie würde gleich mit der Tür ins Haus fallen.
„Frau van de Molen, Sie sind beobachtet worden.“
Martje blickte erstaunt. „Ich? Bei was? Ich hab nichts Verbotenes gemacht?“

"Naja, verboten nicht, aber finden Sie es nicht etwas komisch, ihren Cousin auf den Mund zu küssen und ein Bild von ihm in der Brieftasche zu haben?“
Martje saß zunächst einfach da und schaute mit unruhig wanderndem Blick hin und her.

„Na, ich mag ihn eben sehr gern“, sagte sie schließlich.
„Ja, so gern, dass man, wenn man die Facebook-Seite der HiHo-Immobilien bis ganz nach unten scrollt, erfährt, dass diese Firma 1999 von Henrick Hoogestrat, Henner Hoogestrat und dessen Lebensgefährtin Martje van de Molen gegründet wurde.“ Nadine Neumann hatte ihr Tablet gezückt und konfrontierte die Holländerin mit dem verräterischen Post.

„Gottverdamme, das haben wir nicht gelöscht“, murmelte Martje mit gesenktem Kopf.
Eugen-Eric von Oegenbostel war unterdessen aufgesprungen und starrte Martje wütend an:
„Was für ein schmutziges Spiel habt Ihr mit Heidelinde gespielt?“, rief er. „Ihr seid überhaupt nicht verwandt? Und jetzt wo Heidi tot ist, machst Du Dich an mich ran, um mein Land auch noch zu kriegen?“

Martje war jetzt so sehr in der Defensive, dass sie der Hauptkommissarin fast leid tat. Wie ein Häufchen Elend saß sie da.
„Das stimmt doch alles gar nicht. Wir sind doch verwandt. Unsere Uromas waren Schwestern.“

„Da kann man von Verwandtschaft ja wohl kaum mehr reden. Ihr habt uns die ganze Zeit belogen - wegen dieses bescheuerten Hotels!“ Eugen-Eric von Oegenbostel, der zunächst so entspannt neben Martje gesessen hatte, war völlig außer sich. Martje versuchte, sich zu erklären.

„Der Henner hat schon lange mit mir Schluss gemacht. Wir haben nur noch die Firma zusammen. Er liebte Heidelinde, wirklich. Nur ich konnte ihn nie vergessen. Ich hab es wirklich versucht, aber wenn man jeden Tag zusammen arbeitet….“

„Und dann ist die Eifersucht mit Ihnen durchgegangen und Sie haben Henners Frau getötet?“
Nadine Neumann versuchte es mit der direkten Konfrontation.

„Oh nein“, Martje saß mit weit aufgerissenen Augen da. „Das könnte ich nie!“
„Wir haben eine Zeugin, die sich bei uns gemeldet hat und beobachtet haben will, dass sie versucht haben, Henner bei der Hochzeit im Hauseingang der Amtshofes zu umarmen und er sie abgewiesen hat. Sind Ihnen danach die Sicherungen durchgebrannt?“
Nadine Neumann trieb Martje immer weiter in die Enge.

„Nein, ich war das nicht. Es wär ja auch dumm gewesen, wo doch erst am Montag das Land für das Hotel an Heidi gehen sollte. Darauf hatten wir doch hingearbeitet.“ Martje sprach so freundlich, dass der bittere Inhalt ihrer Worte erst im Nachklang klar wurde.

Nadine Neumann sah, dass Martje sich zwar ertappt fühlte, doch mehr wegen der verschwiegenen früheren Liebschaft mit Henner. Den Eindruck, als Mörderin enttarnt worden zu sein, machte sie hingegen nicht.

Die Hauptkommissarin beobachtete nun aufmerksam Eugen-Eric.
„Herr von Oegenbostel, neigen Sie eigentlich zur Aggression?“

Der Lehrer, der eben noch entrüstet Martje angestarrt hatte, wandte nun seinen Blick zu Nadine, die deutlich merkte, dass er versuchte, zur Ruhe zu kommen und bedächtig zu sprechen.

„Soll das heissen, dass Sie gegen mich auch ermitteln möchten?“, er lachte höhnisch und schüttelte den Kopf.
„Im Moment haben wir dafür keine Anhaltspunkte, aber es ist schon auffällig, dass Sie dauernd ausrasten. gestern im Museum sind Sie ja wohl wutschnaubend raus, heute regen Sie sich auch gleich so auf…“

Eugen-Eric unterbrach Nadine: „Ist das denn ein Wunder, schließlich ist gerade meine Schwester umgebracht worden!“
„Hm, das klingt wie ein gutes Argument. Aber: Warum hat uns dann ein Hochzeitsgast berichtet, dass sie gegenüber ihrer Schwester bei deren Hochzeit ausfällig geworden sind, als Ihr Vater verkündete, ihr den Wald zu überschreiben?“

Eugen-Eric antwortete nicht. Seine Tochter Elise saß verschüchtert zwischen Martje und ihrem Vater und sah die Kommissarin mit großen Augen an.
„Wie gut haben Sie sich denn mit Ihrer Schwester verstanden?“

„Nachdem meine Mutter von uns gegangen war haben wir uns wieder vertragen. Meine Mutter hatte Heidi gegen meine Frau, Elises Mutter, aufgehetzt. Aber das ist eine alte Geschichte, die hier nichts zur Sache tut.“

Nadine hakte ein: „Oft sind es die ganz alten Geschichten, die etwas zur Sache tun. Herr von Oegenbostel, Frau van de Molen - ich möchte Sie bitten, die Wedemark in den nächsten Tagen nicht zu verlassen."

„Heisst das, Sie verdächtigen mich wirklich?“ Eugen-Eric starrte die Kommisarin ungläubig an.
„Das gilt für alle engen Familienmitglieder des Opfers, Herr von Oegenbostel. Aber unverdächtiger sind Sie mir heute eher nicht geworden.“
Nadine wandte sich Martje zu. „Und von Ihnen möchte ich wissen, wann Sie sich bei der Hochzeit mit wem unterhalten haben. Und ob Sie den Amtshof zwischendurch einmal verlassen haben.“

„Das… ich… also ich weiß das gar nicht mehr!“ Martje war den Tränen nahe. „Und ich möchte jetzt auch gehen. Nicht weg von der Wedemark. Nur in mein Büro, das ist ja hier im Dorf.“

„Kein Problem, Frau van de Molen. Wissen Sie was, ich komme mit und wir unterhalten uns dort weiter.“
Nadine stand auf und wartete, dass auch Martje sich erhob. 

„Ich bin mit Dir hier, weil Du ein netter Mann bist, nix anderes“, sagte Martje noch zu Eric, doch der schüttelte nur den Kopf. Dann verließen die beiden Frauen das Gelände der alten Elzer Schule. 

Eugen-Eric und Elise blieben zurück.
„Papa, ich versteh das hier alles nicht mehr. Tante Heidi ist tot, dafür ist Franzi jetzt meine Tante. Opa hat Oma Nora betrogen, die dann abgehauen ist. Und Martje ist gar nicht mit Henrick und Henner verwandt. Verstehst Du das alles?“

Eugen-Eric schüttelte nur den Kopf. „Komm Elise, wir gehen auch. Ich kann mir auf Vieles gerade keinen Reim machen.“

Er nahm seine Tochter in den Arm und nachdenklich verließen die beiden das fröhliche Treiben, das so gar nicht mehr zu ihrer Stimmung passte.
__________________________________

Nadine Neumann verließ das Hiho-Büro. Neues erfahren hatte sie im Einzelgespräch mit Martje nicht. Im Gegenteil - die Hotelgeschäftsführerin hatte noch versucht, Nadine ihr Herz darüber auszuschütten, wie traurig es doch sei, dass sie Henner jeden Tag bei der Arbeit sehen müsste, wohlwissend, dass es mit der Beziehung für immer vorbei sei.

Jetzt knurrte Nadine der Magen. „Ich hätte beim Elzer Kirschkuchen doch nicht nein sagen sollen“, dachte sie und steuerte mit dem Auto auf das Gasthaus Goltermann zu. Der Bürgermeister hatte am Monntag von Currywurst mit Pommes bei Goltermann gesprochen - genau das wollte sie sich jetzt genehmigen. Mit vollem Magen konnte sie einfach beser denken.

Resi Rosenbauer und Shiva Schuster freuten sich hingegen auf einen Frauenabend, an dem sie die ganzen Geschehnisse der vergangenen Tage noch einmal durchsprechen konnten, als sie sich im Garten des Gasthauses Goltermann niederließen.

Ihr Gespräch war in vollem Gang, als die Kommissarin das Gelände betraten. Nadine Neumann hielt sich hinter einem Blumenkübel versteckt. Vielleicht konnte sie ja etwas belauschen.

„…und dann ist mir das irgendwie aus dem Ruder gelaufen mit der alten Seele“, sagte Shiva Schuster gerade.
„Was heisst das? Gibt es die Seele gar nicht?“ Resi lachte. „Bescheisst Du deine Kunden?“

„Nein, nicht wirklich. ich sehe ja etwas. Ich sehe Farben. Da, wo Ihr keine Farben seht. Und ich glaube, ich empfange Gefühle. ich bin zum Beispiel sicher, dass die alte Seele mich aufgefordert hat, den Bau des Hotels zu verhindern…“

„Mach mir keine Angst, das klingt ja glatt, als hättest Du die Heidi auf dem Gewissen.“ Resi sah Shiva prüfend an. „Nein, Du weisst, ich mein das nicht wirklich. Aber woher weisst Du denn, dass die Seele Aron heisst, wenn sie gar nicht spricht?“

Shiva Schuster zögerte, dann lächelte sie. „Jetzt hast Du mich ertappt Resi, den Namen hab ich mir einfach ausgedacht. Die Sinnsucher wollten die alte Seele irgendwie ansprechen.“

„Bist Du denn sicher, dass es die Seele von einem Mann ist?“
Shiva Schuster überlegte. „Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich bin einfach davon ausgegangen. Aber Du hast Recht - das ist auch wieder nur so ein Gefühl von mir! Vielleicht ist es ja…umgekehrt!“

„Und hast Du irgendeine Ahnung, wer die arme Heidi umgebracht haben könnte? Wenn Du schon irgendwelche Gefühle empfängst - vielleicht ja auch die vom Täter? Resi traute ihrer Freundin viel zu.

Shiva überlegte nicht lange. Ja, sie hatte eine Theorie. „Den alten Hoogestrat, Henrick, hat keiner auf der Rechnung. Doch ich glaube, dass er es war.“

„Wie kommst Du gerade auf den? Wenn er Heidi umbringen wollte, dann hätte er doch bis Montag gewartet, bis ihr der Wald gehört!“

Shiva lächelte. „Wir wissen doch alle, dass dieser Hotelbau auf der Höhe nie genehmigt worden wär. Henner hat jetzt zwar den Wald nicht geerbt. Den werden wohl Eugen-Eric und Franzi bekommen. Aber weisst Du, was Heidi gehörte? Wieviel Land sie selbst schon besaß?“

Resi staunte: „Nein, keine Ahnung, erzähl!“
„Die Oma mütterlicherseits hat Heidi, ihrer Lieblinksenkelin, viel Land vermacht. Dazu gehören große Moorflächen in der Wedemark, in Garbsen und Langenhagen. Heidi war auch ohne Eugens Wald eine gute Partie.“

„Land, auf dem man ein Hotel bauen könnte, oder mehrere?“ Resi kombinierte. „Dann hätten aber sowohl Henrick als auch seine Nichte ein Motiv. Möglichst schnell an guten Baugrund kommen. Woher weisst Du das eigentlich?“

„Ich hab vorhin auf der Terrasse ein Gespräch zwischen Eugen und Henrick belauscht. Sie wollen sich morgen im MoorIz in Resse treffen. Eugen will Henrick auf einer Karte das Gelände zeigen, dass Henner nun bekommt. Angeblich haben die Hoogestrats davon allerdings nichts gewusst. Heidi soll ihrem Bräutigam gar nicht gesagt haben, wieviel Land sie schon hat. Behauptet Henrick zumindest.“

Nadine Neumann hatte genug gehört. Schon wieder eine neue Spur! Ob Henrick Hoogestrats Unwissenheit zutraf - daran hatte Nadine erheblichen Zweifel.
Sie stand auf, um Resi Rosenbauer und Shiva Schuster zu begrüßen.  

Ihr war klar: Die Sache mit dem Moor, die müssten sie nun auch noch näher unter die Lupe nehmen.
Share by: