Es sind 2

Am frühen Sonnabendmorgen fand ein Spezialteam der Polizei, was Nadine Neumann befürchtet hatten. In der Senke neben dem Gauss-Stein fanden sie in der überwucherten Erde die Überreste von Eleonora von Oegenbostel.

Die Adelige hatte Oegenbostel nie verlassen.
"Jansen, also, ich grusel mich grad. Diese alte Seele vom Brelinger Berg, also das, was Shiva Schuster gesehen hat. Ich glaube ja nicht an Geistergeschichten, aber..."

"Düwel noch eins, mak mek nich bange!" In der Aufregung, den ersten Fall im neuen Job geklärt zu haben, verfiel Jens Jansen wieder ins Plattdeutsche.
"Aber bevor wir beginnen, an Schauergeschichten zu glauben, sollten wir erstmal gucken, ob sich unser Verdacht bestätigt hat.“ Nadine Neumann griff zum Smartphone und rief in der Spurensicherung an.
Sie nickte. "Wir haben also Recht gehabt."

Es waren Fingerabdrücke gefunden worden, die sowohl auf den Plastikhüllen als auch auf den Briefen zu finden waren und nicht zu Neumann, Jansen oder Shiva Schuster gehörten. Alle anderen Polizeimitarbeiter hatten Dokumente und Hüllen nur mit Handschuhen berührt.
Es gab dafür nur eine Erklärung: jene weitere Person, deren Abdrücke sowohl auf den neuen Hüllen als auch auf den alten Briefen waren, hatte Eleonora von Oegenbostel umgebracht.

Sowohl Eugen-Eric als auch Freya Franke hatten die Plastikhüllen in Händen gehabt.
Doch nur eine Person hatte sich verraten. Und die Fingerabdrücke dieser Person befanden sich auch auf den alten Unterlagen - obwohl sie dort nicht hätten sein dürfen.

Im Mailpostkasten von Eleonora hatte das IT-Team des Kommissariats einige gespeicherte Mails von Heidelinde gefunden. Erstaunlich, wie die Braut vor ihrer Hochzeit über ihre Familie geschrieben hatte. Über den weichlichen Vater, von dem sie alles bekam, was sie wollte. Über den Bruder, der als "einfacher Lehrer" keine Visionen für den Gutshof hatte und über Freya, die man ertragen musste, die aber der Mutter nie das Wasser reichen würde. Jene Person, die an Stelle von Eleonora auf die Mails antwortete, musste Heidelinde gehasst haben - und hatte doch jeden Tag gute Miene zum bösen Spiel gemacht und Orte in Chile beschrieben, die sie angeblich besuchte.

Nadine Neumann und Jens Jansen brachen auf, um jene Person zu verhaften, die, wie sie jetzt wussten, zwei Frauen getötet hatte.
Beim zweiten Mord war es nicht etwa darum gegangen, ein Hotel auf dem Brelinger Berg zu verhindern. Es war darum gegangen, dem Berg sein Geheimnis zu lassen - die sterblichen Überreste der Eleonora von Oegenbostel. Nadine Neumann lobte sich für ihr gutes Gespür. Dieser Satz bei der Pressekonferenz am Montag, dass die Grabung nur durch den Mord verhindert wurde - sie hatte ihn notiert, an ihren Monitor geheftet und tatsächlich das Mordmotiv die ganzen Tage vor Augen gehabt.
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Im Garten des Bauernhofes von Oegenbostelschen Verwandten erhob sich Eugen von Oegenbostel gerade, um zur Familie zu sprechen, als die Polizei eintraf.
Die Oegenbostels und ihr holländischer Anhang waren der Einladung zur Verkostung gefolgt - die Verwandten wollten ihren Brelinger Korn für die künftige Hotelbar vorstellen. Das Leben musste ja weitergehen - und ein wenig Ablenkung tat so gut.

Eugen von Oegenbostel wollte an diesem Nachmittag eine kleine Rede halten. Irritiert hatte er festgestellt, dass vor dem Eingang zum Hofgelände Jansen und Neumann standen und mit jedem der ankommenden Gäste ein paar Worte wechselten. Was hatten die wohl vor?
Er setzte zu seiner Rede an.

"Liebe Familie! Ja, wir sind eine Familie, wir alle, die wir hier heute versammelt sind. Doch eine Person, die beste, wunderbarste Tochter, die ich mir vorstellen konnte, fehlt.
Ich freue mich, dass mein Schwiegersohn sich entschlossen hat, unser Büro in der Wedemark weiterzuführen, zusammen mit der lieben Martje...."
 
Eugen stutzte, als Neumann und Jansen nun den Garten betraten.

"Sie wollen... zu uns?", fragte er erstaunt. "Gibt es etwas Neues?"

"In der Tat. Und: Wir werden ihre Runde gleich etwas verkleinern müssen."
Nadine Neumann schaute in die erstaunten Gesichter.
"Ja, jemand aus dieser Runde hat ihre Tochter, Frau, Schwester, Schwiegertochter und Tante umgebracht."  

Nadine Neumann wartete die Wirkung ihrer Worte ab. Sie beobachtete, wie die kleine Elise schockiert und mit offenem Mund da saß. Franzi Franke knuffte sie an und flüsterte ihr etwas ins Ohr.  Henner Hoogestrat war aufgestanden und stand nun neben seinem Vater. Eugen von Oegenbostel starrte auf den Tisch. Freya Franke sah den Kommissar gefasst an. Nur Shiva Schuster schaute eher neugierig als betroffen und der Kieswerks-Kurt, wie Nadine den unvermeidlichen Kappenberg nannte, blätterte ungerührt in einem Stapel Unterlagen.

"Herr von Oegenbostel senior, für Sie habe ich eine besonders erschütternde Nachricht."
Eugen schaute nun auf und runzelte die Stirn.
"Was kann erschütternder sein als der Tod meiner Tochter?", fragte er mit monotoner Stimme.

"Der Mord an Ihrer Frau Eleonora." Kommissar Jansen sah, wie Eugen sich ungläubig seiner Lebensgefährtin zuwandte, die ihm mit der Hand die Wange streichelte.

"Ich muss Ihnen allen mitteilen, dass wir heute die sterblichen Überreste von Eleonora von Oegenbostel entdeckt haben. Sie lag all die Jahre in der Erde des Brelinger Berge.

Aufgeregtes Tuscheln, eine fast greifbare Spannung, bleiche Gesichter.
Henner Hoogestrat war es schließlich, der etwas sagte: "Aber, wer hat meiner Heidi dann die Mails geschrieben? Sie hat doch am Tag vor der Hochzeit noch..."
Henner Hoogestrat brach ab, schaute in die Runde und begriff.

"Es war tatsächlich jemand von Ihnen, der Eleonora von Oegenbostel erschlug und über all die Jahre mit Heidi kommunizierte und vorgab, ihre Mutter zu sein."

"Sie, Herr Hoogestrat junior und senior und Frau van de Molen waren das natürlich nicht. Auch Frau Schuster, Sieglinde, nicht wahr, ist damit unschuldig."

"Herr von Oegenbostel", Nadine Neumann deutete auf Eugen, "haben Sie geahnt, dass Heidelinde Sie wegen Ihrer Gutmütigkeit verlacht und Ihre Lebensgefährtin verachtet hat? Wir haben es aus den Mails an ihre Mutter erfahren. War Ihnen Eleonora im Weg? Wollten Sie endlich ungestört Ihre Beziehung zu Frau Franke ausleben? Das mag sein, doch es war nicht der Grund für die beiden Morde. Sie, Herr von Oegenbostel, sind in diesem Fall nicht der Täter sondern der Leidtragende."

Eugen von Oegenbostel war aufgestanden und blickte die anderen Gäste an. "Aber, aber, dann...", stotterte er, "bleiben doch nur noch..."

"So ist es. Ihr Sohn oder Ihre Lebensgefährtin."

Freya Franke erhob sich von ihrem Platz.

"Sie brauchen nicht weiter zu reden, Frau Neumann. Eugen, ich habe es für uns getan."

Franzi Franke sprang auf: "Mama! Das ist doch Quatsch. Mama, sag, dass das Quatsch ist!"
Franzi lief zu ihrer Mutter, die sie fest in den Arm nahm.

"Franzi, Du wirst jetzt bei Deinem Vater leben. Ich wusste, dass es irgendwann herauskommt. Ich dachte, ich kaufe uns Zeit, wenn ich Heidelinde daran hindere, Nora zu finden. Darum ging es doch immer. Ich wollte uns Zeit kaufen, uns Eugen!"

Jens Jansen ging auf Freya Franke zu.
"Stopp, Sie werden mich jetzt nicht in Handschellen hier herausführen. Ich komme freiwillig mit".  

"Nun, Frau Franke, Sie werden vielleicht selbst gemerkt haben, dass Sie sich gestern verraten haben. Wir hatten Ihnen nicht gesagt, dass die die alten Dokumente einst in der Jagdhütte versteckt waren. Das war Täterwissen. Ohne diese Dokumente wären wir Ihnen aber vielleicht nie auf die Spur gekommen. Darum war es nicht schlau von Ihnen, Frau Schuster, dass Sie die Sachen vor uns verstecken wollten." Nadine Neumann sah Shiva streng an.

Shiva Schuster wirkte, als würde sie nur mühsam ein Hyperventilieren unterdrücken. „Die alte Seele! Oh Gott! Jetzt weiß ich, für wen ich den Berg beschützen sollte. Für Nora!"

Nadine Neumann unterbrach die aufgeregte Therapeutin. "Ich denke, wir sollten jetzt gehen. Frau Franke, kommen Sie bitte?"

Freya Franke stand aufrecht, ihr Blick wirkte trotzig.
"Eugen, ich habe alles aus Liebe getan. Nora wollte uns trennen. Sie wollte mich als Försterin entlassen, wenn wir uns weiter treffen. Ich konnte nicht auf Dich verzichten. Und Heidi? Sie hat mich verachtet. Wie sie da stand, am Eingang des Campingwagens und erstmal eine rauchte. Ich hab sie so gebeten, den Berg in Ruhe zu lassen. Und dann hat sie es gesagt, dasselbe, was ihre Mutter gesagt hat. Du wirst sowieso entlassen, wenn der Wald mir gehört hat sie gesagt. Es ist nicht Dein Wald."
Mit wutglänzendem Blick sah Freya Franke in die Runde.
"Es war immer mein Wald und Du warst immer mein Mann."

Eugen von Oegenbostel saß wie erstarrt da, seit er wusste, wer ihm Frau und Tochter für immer genommen hatte. Er sagte kein Wort, als Freya Franke, flankiert von Nadine Neumann und Jens Jansen, den Raum verließ.

Martje, Henner und Henrick waren zu Eugen getreten. Sie lagen sich alle in den Armen.
Nur Shiva saß erschüttert da, in ein murmelndes Zweigespräch mit der Seele der Eleonora vertieft.

"Und es gab sie doch, die alte Seele im Brelinger Berg", hörte Nadine Neumann Shiva schließlich rufen. "Nicht Aron, ich hatte die Buchstaben nur falsch herum! Nora!"
Kopfschüttelnd verließ sie den Hof. Was für ein Schlusswort!
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