2 TAGE BIS ZUM HOCHZEITSFEST

Henners Augen ruhten auf Heidelindes perfekten Beinen. Er liebte lange schlanke Beine. 
Heidelinde hatte alles, was ihm gefiel. Er könnte eine lange Liste von Eigenschaften und Äußerlichkeiten aufzählen, die er an ihr schätzte. 
Sie blickte sich zu ihm um.

"Du lächelst. Bist Du glücklich?"

Was für eine Frage! Natürlich war er glücklich. Es war tatsächlich noch Liebe geworden. Als er vor einigen Wochen gemerkt hatte, wieviel ihm Heidelinde tatsächlich bedeutete, war er über sich selbst erstaunt.
Natürlich hatte er sich an sie herangemacht, um an den Bergwald zu kommen, auf dem der Vater sein Hotel errichten wollte. Dass die Frau, die er dafür erobern musste, schön, intelligent und sympathisch war, gestaltete sich zu einem angenehmen Nebeneffekt.
Und dann hatte er sich verliebt.
Er wusste nicht, wann es geschehen war. Er wusste nur: Er war wirklich glücklich.
Henner Hoogestrat würde diese Ehe mit der tiefen Überzeugung schließen, die Frau seines Lebens gefunden zu haben.
Und er hoffte, dass sie niemals auf den Gedanken kommen würde, dass zu Beginn ihrer Beziehung alles nur gespielt war.

Statt einer Antwort ging Henner zu ihr und nahm sie zärtlich in den Arm. Wie gut sich das anfühlte. Henner wusste: Er war angekommen. Lange hatte er sich getrieben gefühlt, entwurzelt, ohne Zuhause. 
Heidelinde war zu jenem Menschen geworden, bei dem er sich zuhause fühlte. Er wollte sie nie wieder loslassen.

"Hast Du eigentlich alles für die Bodenvorprüfung nächste Woche veranlasst?
Unsanft weckte Heidelindes Frage ihn aus seiner Geborgenheit. Dass sie dieses Hotelprojekt genauso sehr wollte wie sein Vater fand er fast unheimlich.
Liebte sie ihn denn wirklich?

"Natürlich habe ich das" antwortete er ein wenig verstimmt. "Hast Du Deinem Vater gesagt, was wir planen?"
"Er hat nichts dagegen, ich hab ihm aber gesagt, er soll niemandem was erzählen. Ich hab keine Lust, von einer Demo empfangen zu werden."

Henner war von dem zielstrebigen Pragmatismus seiner künftigen Frau fasziniert. Das Hotel auf dem Berg - sie war fast ein wenig zu vernarrt in das Vorhaben. Und sie konnte sich noch mehr vorstellen: eine Dependance auf dem Feld neben dem Gutshof genauso wie den Umbau des Gutshofes in ein Wellnesshotel.

"Dieses Gelände liegt seit mehr als einem Jahrhundert im Dornröschenschlaf", hatte sie gesagt. "Es wird Zeit, dass der Gutshof Oegenbostel in der Neuzeit ankommt."
Dass sich in der eigenen Familie und in ihrem direkten Umfeld niemand für das Projekt erwärmen konnte, schien ihr ziemlich egal zu sein. 
Sie stieß ihren Bruder vor den Kopf, ignorierte die weinerlichen Einwände ihrer Mieterin Shiva Schuster und stritt sich sogar mit ihrer Stiefmutter Freya Franke darüber.
Einig war sie vor allem mit Martje.
Ausgerechnet Martje!

Es schien, als ob es für die beiden Frauen nichts Wichtigeres gäbe, als ein Hotel in Oegenbostel zu bauen.
Henner hingegen hatte gerade entdeckt, dass es für ihn künftig Wichtigeres geben würde: sein Leben mit Heidelinde.

Hoffentlich würde sie niemals die Wahrheit erfahren. Er wusste: in seiner zukünftigen Frau schlummerte auch das spanische Temperament ihrer Mutter. 
"Heidi, liebst Du eigentlich mich oder das Hotel, das Du mit Vater bauen willst?" fragte er und versuchte die Frage scherzhaft klingen zu lassen.

Ihr warmer liebevoller Blick ließ ihn die Zweifel vergessen.
"Du bist das Wichtigste. Erst Du, dann lange gar nichts, dann mein Vater, dann die Pferde. Und erst dann das Hotel."

"Und bald werden wir auch Kinder haben, die uns wichtiger sind als alle Hotels". Henner wollte Kinder. Auch das wusste er erst, seit er Heidelinde kannte.

"Aber wär es nicht schön, wenn unsere Kinder statt eines maroden Gutshofes ein florierendes Hotel erben würden?
Heidelinde lachte bei diesen Worten und auch Henner musste lachen.

Es gehört eben beides zusammen, dachte er. Ihre Liebe und der gemeinsame Traum von der Höhe 122.
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